Ohne Netz - Mein halbes Jahr offline by Alex Rühle

Ohne Netz - Mein halbes Jahr offline by Alex Rühle

Autor:Alex Rühle
Die sprache: deu
Format: mobi
ISBN: 9783608101324
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2012-08-28T13:37:21+00:00


29. JANUAR

Vor ein paar Tagen stand in der SZ, dass sich das Netz im kommenden Jahrzehnt noch dichter um unser aller Leben legen werde. Es gebe ja heute schon kaum noch Freiräume. Die einzigen »Inseln der Glückseligen«, die dem Redakteur einfallen: Fernsehen und Autofahren. Vor der Glotze und hinterm Steuer, da lebe der Mensch noch »für kurze Zeit im Offline«. Darauf muss man auch erst mal kommen, gerade diese extrem entfremdete, tote Zeit, in der man nichts mit sich selbst zu tun hat, als Glückseligkeitsinsel zu begreifen, als Momente, in denen man noch bei sich sei.

Außerdem stimmt es nicht mal, wir sind mittlerweile auch im Auto vernetzt. Zwei Leute haben mir im Verlauf der letzten Wochen gestanden, dass sie beim Mailen, Surfen, Simsen einen Unfall gebaut haben, vier andere sagen, dass sie während des Autofahrens permanent ihr Smartphone in Reichweite haben. Ein Fotograf erzählt, er fahre beruflich täglich mehrere Stunden herum, »da geht das gar nicht anders. Früher habe ich all meine Telefonate auf die Autofahrten verlegt, das war schon gefährlich genug. Aber heute – wirklich der Wahnsinn, was ich da mache, aber ich kann’s nicht lassen. Kaum stehe ich an der Ampel, checke ich Mails, simse, kucke bei Spiegel online rein. Ich hab mal auf Youtube einen Film des britischen Verkehrsministeriums gesehen, die ziehen alle Register, ein Unfall, perfekt inszeniert, eine junge Frau schreibt während des Fahrens eine SMS und fährt frontal in eine Familie. Wird alles in Zeitlupe gezeigt, man hört das Knacken der Wirbelsäule, am Ende die regungslose Familie, nur die Zweijährige wird hinten mit dem Schweißbrenner rausgeschnitten und wimmert ˂Mama, Mama.˃ Ich bin horrorfilmerprobt, aber das hat funktioniert, danach hab ich mich zwei Wochen lang diszipliniert.« Wie? Nur zwei Wochen? Und jetzt? »Ist es wieder wie immer.«

Da ich das mit den Unfällen gar nicht glauben konnte (ich dachte, das muss doch rauskommen, die Polizei braucht ja bloß das Verlaufsprotokoll der Geräte anzuschauen), habe ich heute Morgen die Pressestelle der Münchner Polizei angerufen und gefragt, wie viele Unfälle durch Handygebrauch verursacht würden.

»Das wissen wir nicht.«

»Schauen Sie denn nach einem Unfall nicht in das Verlaufsprotokoll der Handys?«

»Das dürfen wir nur, wenn der Unfallverursacher uns gegenüber zugibt, dass er ein Handy benutzt hat.«

»Aber das gibt doch kein Mensch zu.«

»Eben. Wir wissen aber andererseits von unseren Streifen, dass nicht viele Leute während des Fahrens telefonieren. Und ich selbst war bis vor vier Jahren beim Unfallkommando und kann sagen, dass selten Handys in Unfälle involviert waren.«

Vor vier Jahren ... Kriegt die Polizei denn nicht mit, dass heutige Smartphones mit vier Jahre alten Handys ungefähr soviel zu tun haben wie ein Ferrari-Bolide mit Henry Fords ersten Autokisten? Diejenigen, die mir gegenüber ihre Unfälle oder ihr Gedaddel während des Autofahrens zugaben, hatten nicht telefoniert, sondern gesimst, News gelesen, Mails gecheckt oder ihren Zielort auf Google Maps eingegeben. Dafür muss man das Handy nicht polizeistreifenkompatibel am Ohr halten, das macht man unterm Lenker.



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